Einleitung
Im Rahmen von Sanierungsprojekten stehen Wohnungs- und Immobilienunternehmen vor der Aufgabe, die Heizung einer hohen Anzahl von Gebäuden auf ein klimafreundlicheres System, wie z.B. Fernwärme oder Wärmepumpe, umzustellen. Anhand eines Wohngebäudes der Dawonia, die mit rund 27.000 Wohnungen eines der größten Wohnungsunternehmen in Süddeutschland ist, wird hier kurz aufgezeigt, welche Fragestellungen sich typischerweise ergeben:
All diese Fragestellungen lassen sich mit Hilfe der thermisch dynamischen Gebäudesimulation klären und lösen. Auf Basis der Simulationsergebnisse können die Heizbedarfe und die aktuelle Gebäudeperformance ermittelt und bewertet werden, so dass eine korrekte Dimensionierung der Anlagen vorgenommen werden kann.
Abbildung 1: Dawonia Wohngebäude mit 9 Stockwerken und 40 Wohnungen, Baujahr 1965, umfangreich saniert in 2022 (Foto: Google Streetview)
Heizlast und Endenergiebedarf einzelner Wohneinheiten
Bei der energetischen Bewertung nach DIN V 18599 wird das Gesamtgebäude betrachtet. Dabei darf aber nicht angenommen werden, dass alle Wohnungen den gleichen Energiebedarf pro m² haben, auch bei vergleichbarer Belegung und ähnlichem Nutzerverhalten. Zum einen kann die Himmelsrichtung aufgrund unterschiedlicher Sonneneinstrahlung eine Rolle spielen und zum anderen die Beheizung der Nachbarräume. Vor allem Wohnungen im Dachgeschoss und im EG über einem unbeheizten Keller können einen deutlich höheren Heizbedarf haben als Wohnungen im inneren Bereich eines mehrstöckigen Gebäudes.
Mit Hilfe der dynamisch thermischen Gebäudesimulation kann der Endenergiebedarf einzelner Wohneinheiten und Räume untersucht werden. Hierbei kann der Einfluss unterschiedlicher Maßnahmen untersucht und verglichen und bewertet werden. Im Vergleich zur DIN V 18599 bzw. der DIN 12831 (Heizlast) ist die dynamisch thermische Gebäudesimulation in Bezug auf die Heizlastanalyse pro Raum somit deutlich flexibler und kann sich genauer an die realen Gegebenheiten annähern.
Am Beispiel des maximalen Heizbedarfs pro Wohnung kann man diese Einflüsse in Abbildung 2 gut erkennen. Die Wohnungen auf der Südseite haben ähnliche Bedingungen bezüglich Sonneneinstrahlung, aber die Erdgeschosswohnungen und die Dachwohnungen haben einen höheren Heizbedarf als die dazwischenliegenden Wohnungen. Dieser Effekt zeigt sich auch auf der Ost- und Westseite, wobei dort noch Unterschiede aufgrund unterschiedlicher Wärmeeinträge durch die solare Strahlung hinzukommen. Diese ist auf der Ostseite größer als auf der Westseite, wodurch der Heizbedarf auf der Westseite höher liegt.
Abbildung 2: Maximal erforderliche Heizleistung
Korrekte Anschlussleitung an das Fernwärmenetz
Im Gegensatz zur Heizlastberechnung nach DIN 12831-1, bei der eine konstante Heizlast am kältesten Tag angenommen wird, wird bei der dynamisch thermischen Simulation der Tagesverlauf berücksichtigt. Hierbei können verschiedene Szenarien in Bezug auf Heiz- und Lüftungsverhalten berücksichtigt werden, wie Abbildung 3 gezeigt. Dort ist ersichtlich, dass die Spitzenlast je nach Nutzerverhalten sehr stark variieren kann. Ein unrealistische Extremfall, bei dem alle Bewohner um 6 Uhr die Heizkörper von Nacht- auf Tagbetrieb umstellen und um 6:30 durchlüften, wird durch die orangene Kurve dargestellt. Ein anderes Extrem zeigt die grüne Kurve mit 24 h konstanter Heizung und regelmäßiger, kurzer Lüftung zu unterschiedlichen Zeiten. Die Realität liegt irgendwo dazwischen und die Annahme einer erforderlichen Heizlast von etwa 125 kW sollte zu einer ausreichenden Dimensionierung des Fernwärmeanschlusses führen.
Abbildung 3: Gebäudeheizlastverlauf an einem sehr kalten Tag für verschiedene Heiz- und Lüftungsszenarien
Bei Fernwärme als Heizsystem ist die Spitzenheizlast des Gebäudes der entscheidende Faktor bei der Ermittlung der Anschlussleistung an das Fernwärmenetz. Mit Hilfe der Gebäudesimulation kann die Spitzenlast somit für ein gewähltes Nutzerprofil ermittelt werden, wobei übermäßige Leistungsspitzen vermieden werden sollten. Fernwärmeanbieter ermitteln die Anschlussleistung in der Regel auf Basis des aktuellen Energieverbrauchs und der Vollbenutzungsstunden. Dieser Wert ist in der Regel zu hoch, weil die Abschätzung der Vollbenutzungsstunden zu konservativ geschätzt wird. Neben dem eigentlichen Energieverbrauch ist die Anschlussleistung ein wesentlicher Parameter für die Heizkosten, die an Fernwärmeanbieter zu bezahlen sind. Im hier beschriebenen Beispiel konnte eine Anschlussleistung gewählt werden, die deutlich unter dem vorgeschlagenen Wert des Fernwärmeanbieters lag.
Dimensionierung von Heizkörpern
Während bei der Fernwärme eine möglichst geringe Anschlussleistung die Kosten reduziert, führt bei einer Wärmepumpe als alternatives Heizsystem eine möglichst geringe Vorlauftemperatur zu einem niedrigeren Energieverbrauch und somit zu geringeren Kosten. Die im Betrieb mögliche Vorlauftemperatur in einem bestehenden Gebäude hängt sehr stark von den installierten Heizkörpern ab. Mit Hilfe der Simulation wird für jede Wohnung ermittelt, bis zu welcher Vorlauftemperatur die installierten Heizkörper die geforderte Heizlast erreichen.
Mit dieser Analyse wird dann für eine gewünschte oder vorgegebene Vorlauftemperatur entschieden, welche Heizkörper ausgetauscht werden müssen und welche verbleiben können. Abbildung 4 zeigt für jede Wohnung bis zu welcher Vorlauftemperatur die installierten Heizkörper die geforderte Heizlast liefern. Werden 55 °C Vorlauf gewählt, dann müssen lediglich bei den rot markierten Wohnungen einzelne Heizkörper ausgetauscht werden. Diese Analyse führt in der Regel zu deutlich niedrigeren Sanierungskosten beim Heizkörpertausch.
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Abbildung 4: Überdimensionierung der Heizkörper bezogen auf Normleistung und Eignung für niedrigere Vorlauftemperaturen
Zusammenfassung
Immobilienbetreiber wie die Dawonia stehen vor der Herausforderung tausende Wohngebäude auf eine klimafreundlichere Energieversorgung umzustellen. Hier besteht bei den Investitions- und Betriebskosten ein großes Einsparpotential, da die Anlagen oder die Anschlussleitung mit üblichen Auslegungsverfahren in sehr vielen Fällen überdimensioniert ausgelegt werden. Mit Hilfe der dynamisch thermischen Gebäudesimulation können die aktuelle Gebäudeperformance, die Wirkung von Maßnahmen, die Anschlussleistungen, die Vorlauftemperaturen und die idealen Betriebszustände ermittelt und bewertet werden, bevor teure Investitionen vorgenommen werden.